Am 9. März 2022 wählte Südkorea einen neuen Präsidenten. Nach einem äußerst aggressiv geführten, von Skandalen geprägten Wahlkampf und einem historisch knappen Wahlergebnis steht nun fest: Der ehemalige Generalstaatsanwalt Yoon Suk-yeol von der konservativen oppositionellen People Power Party (PPP) wird der nächste Präsident Südkoreas und Nachfolger von Amtsinhaber Moon Jae-in. Neben zahlreichen innenpolitischen sieht sich Yoon auch mit handfesten außenpolitischen Herausforderungen konfrontiert. Inwiefern der zukünftige südkoreanische Präsident seine politischen Ziele umsetzen kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es ihm gelingen wird, die tiefen parteipolitischen Gräben zu überbrücken, die notwendige gesellschaftliche Unterstützung zu erlangen und politische Durchsetzungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Die diesjährigen Präsidentschaftswahlen in Südkorea waren gekennzeichnet durch einen außerordentlich aufgeheizten und untypisch kontroversen Wahlkampf der beiden Hauptkandidaten Lee Jae-myung von der regierenden Demokratischen Partei und Yoon Suk-yeol von der oppositionellen PPP. Bereits in den letzten Umfragen vor dem Wahltag deutete sich ein äußerst knappes Wahlergebnis an. Nach Auszählung aller Stimmen errang Yoon 48,56 Prozent, Lee Jae-myung 47,83 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 77,1 Prozent und blieb damit quasi unverändert im Vergleich zur letzten Präsidentschaftswahl 2017 (77,2%).
Sowohl der unversöhnlich geführte Wahlkampf als auch das knappe Wahlergebnis sind Ausdruck der tiefen politischen und gesellschaftlichen Spaltung in Südkorea. Bruchlinien in der Wählerschaft bilden unter anderem regionale Rivalitäten, gegensätzliche Haltungen zu Nordkorea, ein wachsender Generationenkonflikt, ausgeprägte wirtschaftliche Ungleichheit und Kontroversen um die Themen Gleichberechtigung und Frauenrechte. Gleichwohl stellte die jüngste Wahl aber auch ein weiteres Mal die Stabilität der südkoreanischen Demokratie als solcher unter Beweis. Trotz eines historisch knappen Wahlergebnisses gestand der Kandidat der liberaldemokratischen Partei, Lee Jae-myung, die Niederlage nach der Auszählung der Stimmen umgehend ein und verzichtete auf eine (von vielen Beobachtern) erwartete Forderung nach einer Neuauszählung.
Der Wahlkampf war in erster Linie vom Streit über innenpolitische Herausforderungen geprägt. Zu den zentralen Themen zählten etwa die Bekämpfung der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, aber auch und gerade die wachsende soziale Ungleichheit inmitten einer sich abzeichnenden Immobilienblase. Die Wohnungspreise haben sich seit dem Amtsantritt von Präsident Moon Jae-in im Jahr 2017 fast verdoppelt. Viele Haushalte der Mittelschicht sind dadurch aus dem Immobilienmarkt verdrängt worden. Zusätzlich stehen viele Selbstständige, die fast ein Drittel der südkoreanischen Erwerbstätigen ausmachen, nicht zuletzt auch aufgrund der Covid-bedingten Beschränkungen und den damit einhergehenden Einnahme ausfällen unter zunehmendem finanziellem Druck. Des Weiteren hat sich die Verschuldung der privaten Haushalte in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt und ist im zweiten Quartal 2021 auf ein Rekordhoch gestiegen. Vor diesem Hintergrund versprach Yoon konkrete Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsplatzsicherheit und zur Förderung der Wiederbeschäftigung sowie den Bau von 300.000 subventionierten Sozialwohnungen für junge Menschen. Diese Bemühungen sind wichtig, werden jedoch nicht dazu beitragen, die tief verwurzelten sozioökonomischen Ungleichheiten in der koreanischen Gesellschaft zu verringern.
Eine weitere ernste innenpolitische Herausforderung besteht in der Befriedung der gespaltenen Gesellschaft und insbesondere auch der Stärkung der Gleichberechtigung. Mit seiner Drohung, das Ministerium für Gleichstellung und Familie abzuschaffen positionierte sich Yoon als Unterstützer antifeministischer Gruppen. Die konservativen männlichen Wähler der sogenannten »Generation 2030« spielten eine Schlüsselrolle bei Yoons Wahl. Indem er direkt an diese Wähler appellierte – von denen viele ihre derzeitigen wirtschaftlichen Nöte auf die Bevorzugung von Frauen durch die liberale Moon-Regierung zurückführen – hat die Kampagne des neuen Präsidenten die Flammen eines glimmenden Geschlechterkriegs in Südkorea angefacht und damit die ohnehin schon ausgeprägte Spaltung der südkoreanischen Bevölkerung weiter vertieft.
Lee Jae-myung und YoonSuk-yeol haben im Wahlkampf geradezu gegensätzliche außenpolitische Visionen entworfen. Beide hatten dabei sehr stark ihre jeweilige innenpolitische Basis im Auge. Als konkrete außenpolitische Zielsetzungen nannte Yoon die Stärkung der globalen Rolle Südkoreas, die Vertiefung der Allianz mit den USA und die Verbesserung der Beziehungen zu Japan sowie eine kritische Neuausrichtung des Kurses gegenüber China und Nordkorea.
Ein zentrales außenpolitisches Ziel der neuen Administration ist die Aufwertung der regionalen und globalen Rolle Südkoreas. Yoon selbst betonte in einem Beitrag in der Foreign Affairs vom 8. Februar 2022 die Notwendigkeit, dass Seoul in der unmittelbaren Nachbarschaft, aber auch auf internationaler Bühne größeren Einfluss erhalte und ausübe. Südkorea müsse dringend mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen und an der Seite anderer Verbündeterder USA als regionale Führungsmacht und als »globaler Dreh- und Angelpunkt« auftreten. Yoon kritisierte die außenpolitischen Initiativen des amtierenden Präsidenten Moon Jae-in als zu sehr auf Nordkorea ausgerichtet, zu wenig vorausschauend und zu passiv. Es sei an der Zeit, Südkoreas Sichtbarkeit und Impact in der internationalen Gemeinschaft zu erhöhen, indem es sich für Freiheit, Frieden und liberale demokratische Werte in Asien und darüber hinaus einsetze und für eine regelbasierte Ordnung einstehe.
Die Proklamation einer wertebasierten Außenpolitik steht im Einklang mit den Indo-Pazifik-Strategien der USA und der EU. Beide betonen die Notwendigkeit einer »demokratischen Abschreckung«, die von den regionalen Verbündeten und Partnern ausgehen sollte, um der Bedrohung der Demokratie zu begegnen. Die russische Aggression in der Ukraine ist ein weiterer Anstoß für gleichgesinnte demokratische Länder, Solidarität zu zeigen, um eine auf Regeln basierende Ordnung zu bewahren.
Yoon kündigte an, sich außenpolitisch wieder näher an die USA anzulehnen. Der gewählte neue Präsident will gegenüber Südkoreas wichtigstem Handelspartner China sowie gegenüber Nordkorea eine weitaus kritischere Haltung einnehmen als die gegenwärtige Moon-Regierung. Yoon hat Moons »Balancediplomatie« (oder strategische Ambiguität) gegenüber Peking missbilligt. Er befürwortet eine engere Kooperation mit dem Quadrilateralen Sicherheitsdialog (QUAD), dem beizutreten er langfristig nicht ausschließt. Mit der Annäherung an den QUAD will Yoon der Stimme Südkoreas in regionalen und globalen Angelegenheiten mehr Gewicht verleihen und das Land unmittelbarer als bisher in die regionale Sicherheitsarchitektur integrieren. Auch hat sich Yoon im Wahlkampf für die Stationierung weiterer Terminal High Altitude Area Defense (THAAD)-Raketenabwehrsysteme in Südkorea ausgesprochen.
Mit seiner schärferen Rhetorik gegenüber Peking kann sich der neue Präsident auf eine wachsende Antipathie der Öffentlichkeit gegenüber China stützen, eine Stimmung, die sich seit den wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen Pekings nach der Stationierung von THAAD-Systemen in Südkorea im Jahr 2016 sukzessive verfestigt hat. Yoons lautstarkes Eintreten gegen die »wirtschaftliche Tyrannei« Chinas hat bei den Wählern der Millennials und der Generation Z, die in Südkorea als »Generation 2030» bezeichnet wird, durchaus Anklang gefunden, auch wenn noch unklar ist, wie Yoon mit künftigen Spannungen mit Peking umgehen wird.
Auch und gerade im Hinblick auf Südkoreas Beziehungen zu Nordkorea ist unter Yoon ein Politikwechsel zu erwarten und es ist unwahrscheinlich, dass es seitens der neuen Administration zu einem politischen Vorstoß oder gar zu einer weiteren Runde innerkoreanischer Gipfeltreffen kommen wird. Yoon vertritt eine weitaus kritischere Haltung gegenüber Nordkorea und hat bereits verlauten lassen, »keine Gespräche um der Gespräche willen« mit Nordkorea führen zu wollen. Vielmehr ist zu erwarten, dass er für die Aufnahme neuerlicher Gespräche konkrete Fortschritte bei der Denuklearisierung Nordkoreas zur Voraussetzung machen wird. Als Präsident wird er zu einer konservativeren Außenpolitik zurückkehren, in deren Mittelpunkt eine glaubwürdige Abschreckung gegenüber Nordkorea steht. »Frieden kann nur aufrechterhalten werden, wenn es eine starke Abschreckung gibt. Ein Krieg kann nur verhindert werden, wenn man sich die Fähigkeit zu einem Präventivschlag sichert und den Willen zeigt, diesen auch durchzuführen. Wie wir in der Ukraine gesehen haben, können die nationale Sicherheit und der Frieden eines Landes nicht mit Papier und Tinte geschützt werden«, sagte Yoon während einer Präsidentschaftsdebatte im Februar.
Yoon hat die Regierung Moon wiederholt dafür kritisiert, dass sie sich zusehr auf die Verhandlungen mit Nordkorea konzentriert habe. Auch sieht er den Einfluss Pekings auf das nordkoreanische Nuklear- und Raketenprogramm als relativ gering an. Der neue Präsident will stattdessen ein mögliches Engagement im Bereich der innerkoreanischen Beziehungen viel entschiedener in den Rahmen der institutionalisierten Zusammenarbeit mit den USA einbetten.
Unabhängig von der Politik Yoons ist indes eine Verschärfung der innerkoreanischen Beziehungen zu erwarten. Die derzeitigen Entwicklungen deuten darauf hin, dass Nordkorea weitere Raketentests und eventuell sogar einen neuerlichen Nukleartest vorbereitet. Kim Jong Uns jüngster, mit einem Aufruf zur Modernisierung verbundener Besuch des Satellitenstartplatzes Sohae, Hinweise auf die Entwicklung eines neuen ballistischen Interkontinentalraketensystems und angebliche Aktivitäten zur Wiederherstellung der Tunnelsysteme des Kernwaffentestgeländes sind nur einige von vielen Anzeichen dafür, dass das Verhältnis zwischen Seoul und Pjöngjang auf schwierige Zeiten zusteuert. Dabei muss betont werden, dass diese Ereignisse und Tendenzen nicht im Zusammenhang mit der Wahl von Yoon Suk-yeol stehen, sondern bereits seit vielen Monaten zu beobachten sind. Auch dem gegenwärtigen liberalen Präsidenten Moon Jae-in ist es nach dem Abbruch der Kommunikationskanäle 2019 nicht mehr gelungen, ein Momentum für eine proaktive Entwicklung der innerkoreanischen Beziehungen zu erzeugen. Yoons scharfe Rhetorik hat jedoch das Potential, eine wechselseitige Eskalation voranzutreiben.
Die bilateralen Beziehungen zwischen Seoul und Tokio haben sich in den vergangenen Jahren aus zahlreichen Gründen verschlechtert, unter anderem wegen der fehlenden Einigung über die sogenannte »Trostfrauenfrage«, wegen der umstrittenen Pläne Japans, kontaminiertes Wasser aus dem havarierten Kernkraftwerk Fukushima ins Meer zu leiten, infolge von Handelsstreitigkeiten bei Hightech-Materialien und zuletzt aufgrund von Japans Vorstoß, die Sado-Mine in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Der designierte südkoreanische Präsident Yoon hat die strategische Bedeutung Tokios für Seoul hervorgehoben und angekündigt, sich für eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen und auch für eine Stärkung der trilateralen Sicherheitskoordination (mit Japan und den USA) einzusetzen. Er zeigte sich sogar offen für ein Sicherheitsbündnis zwischen den Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea. Dieses könne sich zum Beispiel über die Entwicklung eines integrierten Raketenabwehrsystems herausbilden. Darüber hinaus will Yoon auf eine engere Kooperation mit Japan auch im Rahmen der QUAD hinwirken.
Yoons außenpolitische Ansichten, die sich insbesondere in Bezug auf Nordkorea, aber auch auf den Indopazifik den Positionen Tokios annähern, bieten durchaus Chancen für eine engere pragmatische Zusammenarbeit. Auch mehrere japanische Medien äußerten die Hoffnung, dass sich das Verhältnis zwischen Seoul und Tokio unter einem Präsidenten Yoon verbessern könnte. Die Beziehungen zu Japan auf eine neue Grundlage zu stellen erfordert jedoch eine breite gesellschaftliche und politische Unterstützung. Unstimmigkeiten bei der Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte schlichtweg »beiseite zu legen«, wie Yoon im Wahlkampf verkündete, ist angesichts der Tatsache, dass das südkoreanische Parlament von der (zukünftigen) Opposition kontrolliert wird und ein nicht unwesentlicher Teil der südkoreanischen Bevölkerung Japan noch immer enorm kritisch gegenübersteht, nicht realistisch.
Die südkoreanische Außenpolitik wird oft als ein Mäandern zwischen einer Orientierung an westlich-liberalen Werten und ökonomischen Interessen beschrieben, wobei die Vereinigten Staaten im Bereich Sicherheit und China für die Wirtschaft als zentral erachtet werden. Dieser dichotomische Ansatz ist in einer Welt, in der Handel und Sicherheit miteinander verflochten sind und sich Werte mit strategischen Prioritäten und wirtschaftlichen Realitäten überschneiden, wenig erfolgversprechend und sinnvoll. Südkoreas diplomatische Haltung der strategischen Ambiguität – seine Zurückhaltung bei der Parteinahme in Konflikten zwischen Großmächten – ist in einer Zeit wachsender geopolitischer Rivalitäten zunehmend untragbar geworden. In einem Beitrag für die Foreign Affairs kritisierte Yoon die Moon-Administration denn auch für deren Festhalten an einer Politik der strategischen Ambiguität: Die fehlende Bereitschaft, sich klar zum Bündnis mit den USA zu bekennen, begrenze den Handlungsspielraum Südkoreas eher, als dass sie ihn erweitere, und berge die Gefahr, auf beiden Seiten der globalen Machtkonkurrenz an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Sicherlich kann die Regierung Moon für eine zu wenig ausgeprägte wertebasierte Außenpolitik kritisiert werden – etwa dafür, sich nicht energischer gegen chinesischeAkte der wirtschaftlichen Nötigung, Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und Hongkong und unrechtmäßige Souveränitätsansprüche im Südchinesischen Meer ausgesprochen zu haben. Gleichwohl werden die Grundzüge der südkoreanischen Außenpolitik auch unter der Führung von Yoon Suk-yeol weiterhin den strukturellen Zwängen unterliegen, die unter anderem vom nordkoreanischen Atomprogramm und von der Rivalität zwischen Peking und Washington ausgehen. Auch bleibt China sowohl politisch als auch wirtschaftlich für die Außenpolitik Südkoreas enorm wichtig. So muss Seoul auch zukünftig in vielen Bereichen mit Peking zusammenarbeiten – vom Problem des nordkoreanischen Nuklearprogramms über Handelsfragen bis hin zu der gemeinsamen Herausforderung des Klimawandels und der öffentlichen Gesundheit. Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, ob die neue südkoreanische Regierung tatsächlich von der bisherigen Balancepolitik gegenüber China und den USA abrückt und in diesem Zusammenhang auch dazu bereit sein wird, den mit einer solchen Abkehr zu erwartenden politischen und wirtschaftlichen Preis, etwa in Form von chinesischen Sanktionen, zu zahlen.
Auch wenn unter der neuen Yoon-Administration keine grundlegenden Änderungen in den Beziehungen Europas zu Südkorea zu erwarten sind und der neue südkoreanische Präsidents einen Hauptfokus wohl auf die USA richten wird, so ergeben sich mit dem Machtwechsel in Seoul auch für die EU und deren Mitgliedstaaten durchaus Chancen, das Verhältnis zu Südkorea punktuell zu vertiefen. Das Ziel einer intensiveren Kooperation mit der EU (sowie der Nato) hat der außenpolitische Berater Yoons während des Wahlkampfs auch explizit benannt. So plane Yoon die Beziehungen Koreas zur EU und den EU-Mitgliedstaaten in allen Bereichen auszubauen, von der Politik über die Wirtschaft bis zur Sicherheit. Konkret wurden vom außenpolitischen Team Yoons dabei insbesondere drei Felder hervorgehoben, auf denen Südkorea seine Zusammenarbeit mit der EU verstärken will:
Erstens könnten die Republik Korea und die EU ihre Kooperation in jenen Bereichen der Spitzentechnologie und der Wirtschaft enger gestalten, die die Wachstumsmotoren der Zukunft sein werden: bei der Halbleiterproduktion, grüner Technologie und Raumfahrt.
Zweitens nennt Yoons außenpolitisches Beraterteam eine vertiefte Zusammenarbeit in der Indo-Pazifik-Region. Dabei strebt Yoon speziell eine verbesserte Koordination der Indo-Pazifik-Strategien an. Als wichtige Bereiche der Kooperation mit der EU in der Region werden etwa der Datenschutz und die Festlegung technischer Standards erwähnt. Ferner solle die gemeinsame Forschung und Zusammenarbeit in den Bereichen 6G, Cloud-basiertes Computing und Internet of Things (IoT) ausgeweitet werden. Auch bei den Themen Klimawandel, Cybercrime und Pandemiebekämpfung müssten Südkorea und der EU in bilateralen, multilateralen, regionalen und globalen Kooperationsmechanismen stärker an einem Strang ziehen.
Drittens gebe es viel Raum für eine intensivere Abstimmung zwischen Südkorea und der EU in Bezug auf Nordkorea. Yoons Berater äußerten Unterstützung für den zweigleisigen Ansatz der EU, die Denuklearisierung Nordkoreas über Sanktionen zu erzwingen und der Bevölkerung gleichzeitig humanitäre Hilfe zu leisten. Dabei ist damit zu rechnen, dass Yoon sich entschiedener auf die Menschenrechtsfrage in Nordkorea fokussieren wird, die als weiterer möglicher Kooperationsbereich betrachtet wird. Angesichts der vielen Schnittmengen zwischen der EU und Südkorea ist durchaus zu erwarten, dass die Zusammenarbeit in den kommenden Jahren weiter vertieft wird.
Der neuesüdkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol hat als politischer Novize nur wenig Zeit, sich in einer für ihn neuen politischen Landschaft zurechtzufinden. Denn Südkorea steht vor schwierigen innen- und außenpolitischen Herausforderungen. So sieht sich Yoon einer gespaltenen und desillusionierten südkoreanischen Gesellschaft, aber auch einem Parlament gegenüber, das von der gegenwärtigen Regierungspartei kontrolliert wird. Yoon wird sich also mindestens bis zu den nächsten Parlamentswahlen 2024 nur auf eine Minderheitsregierung stützen können. In Anbetracht des harschen Wahlkampfs und der tiefen Gräben zwischen Regierung und Opposition besteht das Risiko, dass wichtige Reformen, etwa der rechtlichen und regulatorischen Beschränkungen für den Wohnungsbau wie auch für die High-Tech-Industrie, am Widerstand der Opposition scheitern werden – entweder weil diese gewisse Interessen schützen und/oder Yoon schlicht die Umsetzung seiner politischen Agenda erschweren will.
Auch die Neujustierung der Außenpolitik des Landes wird vor diesem Hintergrund alles andere als einfach sein, zumal sich die drängendsten Herausforderungen wie etwa Nordkoreas fortgesetzte Testaktivitäten und die Rivalität zwischen den USA und China zu weiten Teilen einer maßgeblichen Einwirkung Südkoreas entziehen – und dennoch die Gefahr besteht, dass diese die gesamte Außenpolitik Seouls weiterhin determinieren werden. Es bedarf außenpolitisch also nicht weniger als des Entwurfs einer langfristigen Vision, die gleichermaßen einen Ausweg aus dem strategischen Dilemma zwischen den USA und China und eine Vision für eine Neupositionierung Südkoreas in der regionalen und globalen Ordnung aufzeigt. Inwiefern der zukünftige südkoreanische Präsident seine politischen Ziele umsetzen kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es ihm gelingen wird, die tiefen parteipolitischen Gräben zu überbrücken, die unverzichtbare Unterstützung der Gesellschaft zu erhalten und politische Durchsetzungsfähigkeit zu erlangen.
Dr. Eric J. Ballbach ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien.Diese Publikation wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützungder Korea Foundation.
LinkedIn: Dr. Eric J. Ballbach (https://de.linkedin.com/in/eric-ballbach-85638a8b)